Bei den Bayern-Spielen gegen Bochum und Florenz kam es zu erstaunlichen Zwischenfällen. Es ging um Fans, Fahnenstangen und die Polizei. In einem Interview mit Stadionwelt erklärt einer der führenden Köpfe der Schickeria, was geschehen ist.
Stadionwelt: Auf eurer Homepage ist ein kurzer Bericht zur Länge von Fahnenstangen zu lesen. Man muss wohl Fußballfan in München sein, um sich nicht darüber zu wundern, dass eine zu lange Fahnenstange eine Geldstrafe nach sich zieht, oder?
Schickeria: Der Umgang mit Fans und damit auch mit Freiheiten beziehunsgweise eher Einschränkungen bei Fanutensilien wie eben Fahnen ist in München schon ein eher spezieller. Wir haben da in der Vergangenheit schon unzählige Erfahrungen gemacht. Das Verbot eigentlich völlig selbstverständlicher und ungefährlicher Fanutensilien ist für die Instanzen Polizei und Fanbetreuung, die da Hand in Hand gehen, eine Art Spielball, um uns unter Druck zu setzen. Das Spielchen ist bekannt und trotzdem sind die jüngsten Ereignisse auch für uns unglaublich.
Stadionwelt: Was genau ist vorgefallen?
Schickeria: Eigentlich nichts. Dieselben Fahnen, die schon Jahre von uns verwendet werden, waren wieder in der Kurve. Teilweise überschreiten diese die unglaublich restriktive, einmalige und argumentativ nicht zu begründende Vorgabe von einem Meter pro Fahnenstock. In diesem Fall reden wir von zwei Fahnen. Die Einsatzleitung der Polizei will ? oder kann ? anscheinend nicht verstehen, dass wir mit diesen Fahnen unsere Fankultur ausleben und unseren Verein unterstützen wollen. Anscheinend sind sie der Meinung, unser einziges Ziel dabei wäre, sie provozieren zu wollen. Das spricht eigentlich auch für sich. Gefährlich wird die Sache, wenn diese Personen dann über eine Einheit wie das USK bestimmen können. Jene Einheit, die derzeit mit jeder Menge negativer Schlagzeilen von sich reden macht. Jedenfalls hat das USK nach unserem Spiel gegen Bochum in einem massiven Einsatz einen der „Übeltäter“, der es wagte eine zu lange Fahne zu schwenken, festgesetzt. Er soll jetzt die 25 Euro Strafe zahlen. Ein weiterer Fan wurde per Videoüberwachung ermittelt und bekam einen entsprechenden Brief nach Hause.
Stadionwelt: Auf Eurer Seite ist ein Schreiben vom Polizeipräsidium München verlinkt. Darin steht unter anderem, dass ein Fan mittels Videoüberwachung identifiziert worden ist. Macht es da überhaupt noch Spaß, in die Kurve zu gehen?
Schickeria: Eine sehr gute Frage. Spaß macht es sicherlich keinen mehr, wenn man sieht, dass in anderen Stadien Fans deutlich mehr Freiheiten genießen und der FC Bayern in dieser Hinsicht sozusagen Schlusslicht ist. Aber masochistische Züge gehören wohl zu der Liebe eines Fans zu seinem Verein. Die Ausmaße der Überwachung und deren Möglichkeiten erschrecken einen aber dann doch. Da fragt man sich schon, was noch alles möglich ist. Offensichtlich sind nicht nur all unsere Daten in diversen Dateien gespeichert, sondern auch noch die passenden Bilder zum Abgleich. Vielleicht gibt es ja auch gleich Geruchsproben...
Stadionwelt: Habt Ihr Informationen darüber, was die Betroffenen nun erwartet? Womöglich sogar Stadionverbot?
Schickeria: Wir hoffen natürlich nicht. Bisher ist kein weiterer Brief angekommen.
Stadionwelt: Gab es eine Reaktion des Vereins?
Schickeria: Aufgetreten ist der Verein in der ganzen Geschichte nur in der Form, dass uns der Fanbetreuer in der Halbzeit darauf hinwies, dass die Polizei wegen der zu großen Fahnen nicht begeistert sei und überlege, den Block deswegen zu stürmen. Sozusagen als Botengänger der Polizei. Hinter den Kulissen sind sie bei dem alten Spielchen aber voll involviert. Dabei wird der schwarze Peter der Verantwortung immer hin und her geschoben. Auf Nachfrage von uns ist jeweils die andere Instanz verantwortlich. Vor dem Umzug nach Fröttmaning war es seitens des Vereins gegenüber den Fans immer ein Argument, dass man im eigenen Stadion Herr im Haus sei und entsprechende Freiheiten auch bei der Stadionordnung nutzen würde. Ein Hohn, wenn man jetzt sieht, dass wir in Olympiastadion-Zeiten deutlich mehr Freiheiten besessen haben.
Stadionwelt: Gibt es für die Polizei in München eigentlich einen Grund so zu reagieren? Wenn ich mich nicht irre, ist es in der Arena weder bei Bayern noch bei 1860 in den letzten Jahren zu nennenswerten Vorfällen gekommen.
Schickeria: Im Gegenteil: Von Seiten der Polizei heißt es derzeit, dass sich die Fans in München vorbildlich verhalten würden. Worum es der Polizei geht, ist Macht zu demonstrieren. Wenn wir beim Thema Fahnen nachgeben beziehungsweise aufgeben würden, würde man ganz schnell einen neuen, noch nichtigeren Grund finden, uns zu schikanieren. Das verhält sich schon seit Jahren so. Selbst anderen Fans ist es schon aufgefallen, dass die Polizei eine Art Privatkrieg gegen unsere Gruppe führt. Ich meine, es ist etwas anderes, wenn in einem Streit zwischen Hinz und Kunz der eine den Zank persönlich nimmt und nachtragend ist. Führt man sich vor Augen, dass die Polizei eigentlich eine staatliche Instanz mit einem gesellschaftlichen Auftrag ist, die über das Gewaltmonopol verfügt, erschreckt es, dass hier in einem Konflikt mit einer Gruppe jugendlicher Fußballfans bewusst die Eskalation gesucht wird. Noch dazu wenn man bedenkt, dass die Polizei zumindest in Bayern keinerlei Kontrollinstanz unterworfen ist.
Stadionwelt: In der jüngeren Vergangenheit schien es zumindest optisch in der Südkurve etwas voranzugehen. Der Versuch, das Fahnenmeer der Südkurve des Olympiastadions zu reaktivieren, nahm Gestalt an. Ist das nun ein Rückschritt?
Schickeria: Die restriktive Regulierung der Fahnenlänge in unserer Kurve ist für diesen Versuch an sich eine immense Einschränkung. Wenn man jetzt sogar für das Schwenken einer Fahne kriminalisiert wird, hat das natürlich negative Auswirkungen auf den positiven Trend, der zu verzeichnen war.
Stadionwelt: In vielen Bundesligastadien hat sich in der jüngeren Vergangenheit in Bezug auf Fanutensilien etwas bewegt. Trifft das allgemein auch auf München zu?
Schickeria: In München bewegt sich auch etwas. Leider in die falsche Richtung... Auch wir haben den bundesweiten Trend hin zu mehr Freiheiten wahrgenommen und heißen diesen natürlich gut. In München ist davon nichts angekommen.