Seit dem 13. Jahrhundert führt die Stadt München den Mönch im Wappen, der im 16. Jahrhundert eine Verkindlichung erfuhr und sich so zum 'Münchner Kindl' wandelte.
Wie keine andere deutsche Wappenfigur verselbständigte es sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts und ging auch außerhalb des Stadtwappens seiner eigenen Wege. Es legte das Evangelienbuch zur Seite und griff zu Bierkrug und Rettich.
Münchner Kindl sind überall. Hat man das Erscheinungsbild einmal bewusst gespeichert, verfolgt es einen und findet sich an den verschiedensten Stellen: auf Straßenbahnwagen, Postkarten, Kanaldeckeln, Bierkrügen, Schulhäusern, Bierflaschen, Plakaten, und klar: ganz oben auf der Spitze des Rathausturmes.
Und was hat dieses Münchner Kindl nun in der Hand: Buch, Bierkrug oder Rettich? - Bei dieser Frage kommen sogar Münchner mit älterer Heimatkundeschulung ins Schwimmen, denn grundsätzlich ist alles möglich und richtig.
Zum einen verkörpert das Münchner Kindl das Stadtwappen. In dieser Funktion hält es in seiner linken Hand ein Evangelienbuch und formt seine rechte zum Segensgestus. Bei allen Belangen der Stadtgemeinde München kommt es in dieser korrekten Form zur Anwendung und ist somit das Hoheitszeichen der städtischen Ämter und Institute.
Das "andere" Münchner Kindl ist ein fiktives Wesen, dessen Existenz allein auf der Summe der gezeichneten, gemalten und modellierten Erscheinungsformen beruht. Im Gegensatz zu den Comic-Helden des 20. Jahrhunderts gibt es keinen eindeutigen Erfinder dieser populären Figur. Den Nährboden für die Verselbständigung der Wappenfigur bildet die Münchner Künstlerschaft, die um 1840 in spielerischer Form beginnt, den Mönch zu ihren Zwecken aus seinem Wappen zu befreien und ihm allmählich zu einem eigenständigen Dasein verhilft.
Diese Aneignung der Wappenfigur, die bis dahin unangetastetes Hoheitszeichen der Stadtgemeinde München war, spricht für die Souveränität der Künstler, aber auch für ihre Identifizierung mit der Stadt, in die sie zum Teil als Auswärtige gekommen und dort geblieben sind. Das programmatische Prachtstück liefert Kaspar Braun, der auf seiner Zeichnung aus dem Jahr 1847 das Münchner Kindl aus dem Wappen steigen lässt.
Bub oder Mädchen? Nicht ganz einfach ist die Frage nach dem Geschlecht des Münchner Kindls zu beantworten. Dass in der Kutte des Wappenmönchs aus der Frühzeit ein Mann steckt, ist eindeutig. Nach seiner Mutierung zum Kindl lässt sich allerdings nicht mehr feststellen, ob es sich um einen Buben oder ein Mädchen handelt. In den 1920er Jahren zeigen sich allerdings eindeutige Tendenzen zur Weiblichkeit, verdeutlicht durch entsprechenden Körperbau und eindeutige Frisuren. Bis heute ist es so dabei geblieben, daß das Münchner Kindl bei seinem Auftreten als Person von einem Mädchen oder einer jungen Frau verkörpert wird.