ZUM ERHALT DER FANKULTUR

Redebeitrag der Schickeria München

"Am 29. Januar 1995 stirbt Vincenzo Spagnolo, Ultrà von Genoa durch eine Messerattacke eines Mitglieds einer Splittergruppe Mailänder Ultras.

Bereits seit Beginn der 80iger Jahre war es in Italien zu einigen Todesfällen rund um Auseinandersetzungen der Ultras gekommen, da zu diesem Zeitpunkt ein Mitglieder-Boom und damit ein Generationswechsel innerhalb der Ultras einsetzte. Die alten Gruppen verloren an Einfluss, viele Splittergruppen wenden sich von den alteingesessenen Gruppen ab und damit veränderten sich auch die Werte der Ultras.

Der Tod von Vincenzo Spagnolo und dessen Umstände führen dazu, dass sich die Ultras erstmals treffen und über ihren Umgang mit Gewalt reden. Heraus kommt die Resolution BASTA LAME, BASTA INFAMI – Schluss mit den Messern, Schluss mit der Schande!

Das Scheitern dieser Initiative, die der Versuch war die Selbstregulierung innerhalb der Kurven zu retten, stellt für viele den Anfang des Endes der Ultras in Italien dar.

Roberto Massucci, Sekretär des Osservatorio Nazionale sulle Manifestazioni Sportive, der staatlichen Stelle die unter anderem darüber entscheidet, welche Spiele der italienischen Ligen zu Sicherheitsspielen ohne Gästefans erklärt werden, äußerte sich Anfang des Jahres in einem Interview für den Ballesterer dahingehend, dass sie, der Staat, die Logik der Ultras brechen wollen. Gezielt werden definierende Elemente der Ultra-Kultur wie Trommeln oder Fahnen verboten. Dabei ist es absurd einen Zusammenhang dieser Elemente mit Gewalt herzustellen.

Dass angesichts all dieser unfassbaren und unrechtmäßigen Maßnahmen und Äußerungen kein Aufschrei durch die italienische Öffentlichkeit geht, ist Anzeichen dafür, dass die Ultras ihren Stellenwert in der Gesellschaft verspielt haben. Einen Stellenwert den sie definitiv einmal hatten.

Italien ist das Mutterland der Ultras, wir schauen immer wieder nach Italien und trotz aller recht großen qualitativen Unterschiede stellt sich die Frage, ob sich bei uns zeitversetzt eine ähnliche Entwicklung vollzieht oder ob sich die Zustände nicht übertragen lassen. Können wir aus der Situation in Italien lernen?

Viele Gruppen bekunden in letzter Zeit öffentlichkeitswirksam, dass aus ihrer Sicht die Notwendigkeit besteht, das eigene Handeln zu reflektieren. Für uns stellt sich die Frage, ob die für diesen Schritt nötige Reife und auch wirklich einen Konsens darüber in den Szenen besteht.

Zu einer funktionierenden Selbstregulierung gehört nicht nur die Freiheit, die wir immer wieder einfordern, sondern auch dass die selbst auferlegten Regeln durchgesetzt werden.

Die Frage, die sich uns weiter stellt, ist, ob das was bei so einem Diskurs herauskommen könnte, eine Gratwanderung zwischen dem Maß an Rivalität, was für unser Selbstverständnis notwendig ist und der Einsicht, dass Gewalt für Ultras kein Selbstzweck ist, sich in der Öffentlichkeit überhaupt verkaufen ließe.

Dabei liegt es eigentlich auf der Hand, einem totalen Gewaltverzicht der Ultras steht nicht nur unsere Logik im Weg, sondern auch eine Notwendigkeit. Gewalt ist kein Phänomen der Ultras, Gewalt hat es beim Fußball schon immer gegeben und es wird sie auch ohne Ultras weiter geben. Wir Ultras aber könnten, sofern sowohl bei uns als auch bei denjenigen, die die Spielregeln in den Stadien festlegen der Wille zu einem ehrlichen Dialog besteht, diese Gewalt durch Kodizes und Regeln in Bahnen lenken, wir können aus einem Eigeninteresse heraus ihre Intensität, ihre Häufigkeit und den Stellenwert, den sie für die Jugendlichen in den Kurven hat, beschränken und wir könnten einen Großteil der Frustration, der Aggression, aber auch der Energie und der Emotionen in Choreographien, Tifo und Kurvenshows ablenken. Dafür brauchen wir Freiheit und die Kraft dies umzusetzen. Haben aber die Entscheidungsträger auf der anderen Seite so viel Mut? Haben wir den Willen und die Kraft dies umzusetzen?

Ich möchte nochmal einen Schritt zurück gehen und auf die Situation der Ultras in Deutschland eingehen. Zu einem Zeitpunkt, als viele Gruppen um 2000 rum noch in den Kinderschuhen steckten und die Situation in den Stadien ungewöhnlich friedlich aber auch langweilig und tot war, zu diesem Zeitpunkt als faktisch so gut wie keine Gewalt stattgefunden hat, wurden die entstehenden Ultras-Gruppen bereits mit unangemessener Repression der Polizei,der Vereine und der Verbände konfrontiert. Dies radikalisierte die Szene und prägt uns bis heute. Als ein einschneidendes Erlebnis für viele von uns stellt sich der Umgang mit Pyrotechnik dar. Zu diesem Zeitpunkt war Pyro in den Stadien weit verbreitet und Ausdruck von Leidenschaft und Emotionen. Die Kriminalisierung und Stigmatisierung von Pyrotechnik setzte gerade erst ein. Damals machten wir Ultras den Fehler, dass wir einen Kuhhandel eingingen und für vermeintliche Freiheiten und zugunsten eines angeblichen Dialogs auf dieses im großen und ganzen ungefährliches Stilmittel der Fankultur weitestgehend verzichteten, ja sogar Einfluss auf unser Umfeld dahingehend ausübten. Wir zeigten schon in diesem frühen Stadium, dass wir fähig sind Vereinbarungen einzuhalten und umzusetzen und dass wir verlässliche Gesprächspartner sind, deren Wort zählt. Als genau das stellte sich die Gegenseite nicht raus, uns wurde ins Gesicht gespuckt und unsere ausgestreckte Hand blieb unbeantwortet. Im Gegenteil, der Verzicht auf Pyro gilt heute als Selbstverständlichkeit, die Spirale der Repression drehte sich immer schneller. Statt Pyro müssen wir heute Fahnen schmuggeln. Die andere Seite hat eine Situation geschaffen, in der alles verboten und alles reglementiert ist und die Gewalt für viele das letzte Ausdrucksmittel bleibt. Durch ihre Stadionverbote werden unzählige junge Fans und Ultras sehr oft unbegründet und willkürlich aus den Stadien ausgesperrt und einer Situation ausgesetzt, in der schon im Vorfeld, gleichermaßen durch das Zutun von Fans und Polizei, ein Klima der Aggression herrscht.

Eigentlich bedarf es zwei Schritte der Gegenseite, bevor wir einen Schritt in ihre Richtung machen. Lasst uns trotzdem unseren Schritt unabhängig von den anderen machen, denn er liegt in unserem Interesse. Der Blick nach Italien zeigt, wie grau, trist und trostlos die Welt der "offiziellen Fans" ohne die Ultras ist. Wir wollen aber eine Welt der Ultras, wie sie in Italien einmal war, mit bunten, kreativen und lauten Kurven. Egal ob es möglich ist dahin zu kommen, das Ziel ist es auf jeden Fall Wert den Weg dorthin mit einem ersten Schritt zu beginnen.

Ich möchte meine Rede mit einer Verbeugung vor der großen Geschichte der italienischen Ultras beenden und mit Trauer und Wehmut auf ihre derzeitige Situation blicken.

ULTRAS WIRD ES IMMER GEBEN!

Darüber, wie das Gesicht der Ultras hier bei uns in der Zukunft ausschauen wird, können wir, die Ultras selber und die Entscheidungsträger gleichermaßen entscheiden!"

Schickeria München