Kommerzielle Entwicklung

Die Kommerzielle Entwicklung bzw. deren rasante Steigerung in den letzten Jahren ist für uns das Kernproblem des modernen Fußballs. Dabei geht es uns, wie bereits beschrieben, in erster Linie um die Maßlosigkeit der Protagonisten des modernen Fußballs. Für uns ist es erschreckend, welcher Raum den Sponsoren der Vereine inzwischen beispielsweise am Spieltag zugestanden wird. Sowohl das Geschehen auf dem Rasen als auch die Identität der Vereine oder die Individualität der Spielstätten treten dabei immer mehr in den Hintergrund bzw. gehen verloren. Erlebt man einen Bundesliga-Spieltag im Stadion, wird man schon auf dem Weg ins Stadion von unzähligen Sponsoren und deren Werbebotschaften belästigt. Die Infrastruktur der Stadien ist ebenfalls maßgeblich nach den Interessen der "Werbepartner" ausgelegt. Besaßen die Stadien früher neben einem eigenen Namen etwas individuelles, sympathisches und familiäres, sind sie heute zu austauschbaren und Einkaufscentern nachempfundenen, sterilen Funktionsbauten – so genannten Arenen – verkommen. Dabei spielt es keine Rolle mehr, ob ich in Gelsenkirchen, Hamburg oder München bin. Es schaut eh alles gleich aus, es fühlt sich eh alles gleich an. Das Bezahlsystem der Chipkarten dient dabei nicht nur zur "Kundenbindung", sondern reduziert den Fan zum "gläsernen Kunden", dessen Kaufverhalten für Vermarktungszwecke (und weitere dunkle Absichten) gleich mit abgespeichert wird. Das nicht mehr als Fan sondern als Kunde Behandelt werden zieht sich mittlerweile durch die ganze Realität eines Fußballfans. Vor dem Spiel, in der Halbzeit, nach dem Spiel und zunehmend während des Spiels werden die Fans und Zuschauer mit einem "Unterhaltungsprogramm" berieselt, das einem den Eindruck vermittelt, man sei ein hirntoter Ballermann-Tourist. Anscheinend gibt es aber inzwischen genug Klientel in den Stadien, das sich für sinnlose Gewinnspielchen um den Kugelschreiber des Sponsors zum Affen macht oder wegen des Show-Programms und nicht des Fußballs wegen kommt. Dabei ist dieses Showprogramm mittlerweile so laut und schrill, dass es die Fankurven übertönt, ihre Kreativität erstickt und damit eine über Jahrzehnte gewachsene Fankultur tötet.

Besonders erschreckend waren in diesem Zusammenhang die Ereignisse rund um die Weltmeisterschaft in Deutschland 2006. Schon im Vorfeld der WM wurde der FIFA-Wahnsinn rund um die Vermarktungsinteressen der Bosse deutlich. Das ganzheitliche Konzept der Vermarktung ging so weit, dass der Bäcker um die Ecke um Millionen verklagt wurde, wenn er für die Dauer der WM seine 40 Cent-Brezn "WM-Brezn" nannte. Auch als Zuschauer T-Shirts mit dem Emblem einer zu einem der exklusiven Sponsoren in Konkurrenz stehenden Firma – beispielsweise dem Trikotsponsor des jeweiligen Lieblingsclubs auf dem Vereinstrikot – ausziehen mussten, waren Grenzen der Vernunft bei weitem überschritten. Die Organisation einer für die exklusiven Werbepartner reibungslosen Verkaufsveranstaltung schien mehr im Vordergrund, als der eigentliche Anlass, der Fußball.
Die Ereignisse rund um die WM waren dabei in vielerlei Hinsicht Maßstab setzend. Niemandem ist entgangen, dass es sich bei der WM um ein "tolles Fest" handelte, auch wenn dies nicht ganz so gewaltfrei ab lief, wie in den Medien behauptet wird, und mit dem "Schwarz-rot-geil"-Jubelpatriotismus bei dem ein oder anderen der latent vorhandene Rassismus in ein handgreifliches Resultat mündetet. Trotzdem: die Massen waren außer sich. Dass es sich dabei keinesfalls um die seit Jahren in den Fankurven stehenden treuen Vereinsfans handelte, sondern um Hinz und Kunz, der vorher keinerlei Berührungspunkte mit dem Thema Fußball hatte, war dabei Programm. Auch wenn ein regelmäßiger Stadiongänger sich unter Stadionstimmung etwas anderes vorstellt, es ist nicht ab zu streiten, dass so etwas wie Atmosphäre, ein Geräuschepegel, vorhanden war. Die WM 2006 war der Beweis: Für ihren Event brauchen die Bosse die Fankurven mit ihrer gewachsenen Fankultur nicht. Totalterror in allen Medien, Verkauf von Deutschland-Fahnen im Baumarkt und alkoholbedingte Jubelatmosphäre auf der Fanmeile mit einer Brise Nationalismus reichen dafür aus....

Für uns Fans ist weiterhin unverständlich, welchen Einfluss mittlerweile TV-Konzerne auf die Entscheidungen der Verbände haben. Wie kann es sein, dass sich der Spielplan nach dem Fernsehprogramm richten muss? Auch bei diesem Thema ist inzwischen das Maß total verloren gegangen. Der Spieltag ist derart zerstückelt, damit der Zuschauer vor dem Fernsehgerät bald 24 Stunden am Stück Live-Spiele verfolgen kann. Die Interessen der wahren Fans, die beispielsweise an einem Montag Abend quer durchs Land reisen müssen oder ihre Fahrten aufgrund der sehr späten Terminierung der Spieltage kaum mehr planen können, werden dabei komplett übergangen.
Hier muss man ganz klar sagen, dass die (leider zu kurzfristigen) Interessen der Vereinsbosse mit denen der TV-Konzerne Hand in Hand gehen. Wenn die Spiele so terminiert werden, dass sie auch in Asien über den Bildschirm flimmern können, spielt natürlich der Wunsch der Vereinsbosse eine Rolle, hier Märkte für Fanartikel zu schaffen. Auch an dieser Stelle wird wieder deutlich, dass die Bosse das Verständnis vom Fußballverein als Gemeinschaftsgut nicht teilen, sondern diesen als ihr Eigentum, ihre Marke sehen, die ihr Profit bedeutet. Dies ist nicht nur respektlos gegenüber den anderen Bestandteilen des Vereins, sondern in unseren Augen auch äußerst kurzsichtig.

Dies wird ebenfalls beim Umgang mit Traditionen und Identifikationspunkten deutlich. Die Bedeutung von Trikot- und Vereinsfarben und Stadion- und Vereinsnamen für aktive Fans lässt sich nicht als verstaubte und rückwärts gewandte Traditionsgehabe abtun. Die Farben des Clubs z.B. sind wichtiger Bestandteil der Identifikation mit dem Verein. Wer sie abändert, weil er sich davon verspricht, kurzfristige Moden zu bedienen und seine Umsätze beim Verkauf von Merchandise zu erhöhen, zerstört nach und nach die Grundlage der Bindung, die die wahren Fans mit dem Verein haben, und damit eine der wichtigsten Säulen des Vereins.
Ein traurigen Höhepunkt stellte in diesem Zusammenhang die Entwicklung um Austria bzw. "Red Bull" Salzburg dar. Auch wenn es in Österreich trauriger weise schon lange üblich ist, Vereinsnamen durch Sponsorennamen zu ersetzen, wurde selbst dies durch das "Engagement" der Firma "Red Bull" bei Austria Salzburg bei weitem in den Schatten gestellt. Red Bull stopfte Unmengen Geld in den mittelmäßig erfolgreichen Salzburger Verein mit der Zielsetzung ganz oben mit zu spielen. Dazu änderten sie nicht nur den Vereinsnamen, sondern passten gleich auch Vereinsfarben und eigentlich den kompletten Verein der "Corporate Identity" der Firma an. Nicht nur dass sie sogar das Gründungsjahr des Vereins in der Satzung auf den Zeitpunkt ihres "Einstiegs" umschreiben ließen, entlarvte dabei ihre Ziele, den ursprünglichen Verein auszulöschen. Den Fans von Austria Sazburg blieb nach erfolglosem Kampf gegen die feindliche Übernahme nichts anderes übrig, als ihren Verein, die wahre Austria, neu zu gründen und in den Niederungen des Amateure-Fußballs neu zu starten. Das Konstrukt Red Bull Salzburg geistert seitdem glücklicherweise nur mäßig erfolgreich durch die österreichische Liga (es lässt sich eben doch nicht alles am Reißbrett planen) und ist allen Fans vereins- und grenzenübergreifend als Symbol des modernen Fußballs verhasst.

Wir müssen aber nicht bis Salzburg schauen, um den Einfluss der Konzerne auf unsere Vereine zu betrachten. Auch bei uns in München nutzen diese wie andernorts auch unsere Vereine als Plattform zur Kundenaquisition (bei uns in München Allianz und Telekom) oder ziehen anderen zweifelhaften Nutzen daraus. Nicht nur die vereinseigenen Informationsmedien sind voller Werbung für die "Partner", auch mit Adressdaten der Mitglieder und Fanclubs ist man eher freizügig. An dieser Stelle wollen wir auch exemplarisch auf das Engagement des durchaus kritisch zu betrachtenden russischen Großkonzerns Gazprom beim FC Schalke 04 verweisen, der seinen zweifelhaften Ruf durch dieses Engagement aufpolieren möchte. Es ist durchaus kritisch zu sehen, wenn man nur aus Profitgier einem Konzern mit moralisch zweifelhaftem Hintergrund eine solche Bühne überlässt. Auch wenn Geld nicht stinken soll, gab es bei dem Thema schon mal höhere moralische Standards.

Ein weiterer Punkt, der diese Entwicklung verdeutlicht, ist die Art und Weise, wie die Vereinsbosse mit ihren Mitgliedern und Fans umgehen. Sie betreiben mittlerweile "Kundenbetreuung" und bieten "Service" an. Der Fan und das Mitglied werden zum Kunden umdefiniert. Natürlich ist dieser Sprachgebrauch relativ zu den vorher beschriebenen Vorgängen ein geringes Problem. Er verdeutlicht aber das Selbstverständnis der Bosse und zeigt die Richtung, in die sie gehen wollen.

Sicherlich ist es für diejenigen, die für den "Betrieb" des Vereins sorgen müssen, wichtig Geld zu verdienen. Oft ist die Rede von der "Wettbewerbsfähigkeit" gegenüber anderen europäischen Ligen. Wieso muss man dafür aber alle Werte verkaufen? Vieles im modernen Fußball ist im Ungleichgewicht. Muss man da die Schraube noch weiter anziehen? Manchmal ist weniger auch mehr.

FOOTBALL IS FOR YOU AND ME – NOT FOR FUCKING INDUSTRY!