Repression und Kriminalisierung kritischer Fans

"Gegen Willkür & Repression", "Gegen Stadionverbote" oder "Freiheit für die Kurven" und viele ähnliche Transparente lassen sich in deutschen Kurven mittlerweile mindestens ebenso häufig vorfinden wie der Slogan "Gegen den modernen Fußball" – und rufen beim einen oder anderen normalen Stadiongänger sicherlich ebenso ein Stirnrunzeln hervor. Leben wir hier in der BRD denn nicht in einem Rechtsstaat, in dem Willkür, Repression und Polizeigewalt der Vergangenheit angehören? Bekommen Stadionverbote denn nicht nur diejenigen, die sie "verdienen"? Was für ein Interesse sollten Vereine & Verbände denn daran haben, ihre eigenen Fans auszusperren?
Dass die Realität leider gänzlich anders aussieht, weiß wohl jeder Fußballfan in Deutschland. Waren Fankurven noch bis vor ca. 15 Jahren ein Ort relativen Freiraums ohne permanente Überwachung und Kontrolle durch Polizei und Ordnungsdienste, so hat sich dies mittlerweile grundlegend geändert. Der Spieltag eines aktiven Fußballfans läuft heute, vor allem bei Auswärtsspielen – meist unter ständiger Beobachtung, Drangsalierung und Schikane durch die Staatsgewalt ab. Dies beginnt meist bereits beim Eintreffen am Spielort, wenn an Bewegungsfreiheit nicht mehr zu denken ist und die Fans im Polizeikessel zum Stadion geführt werden – selbst Essen zu kaufen oder ein Toilettengang werden zum Luxus, der nicht jedem zusteht. Wer Pech hat darf auch gleich seine Personalien abgeben und landet in der "Datei Gewalttäter Sport". Auf dem Weg zum Stadion und im Stadion steht man unter ständiger Videoüberwachung, während Ordnungsdienste am Eingang Fanmaterialien, Spruchbänder etc. nach Gutdünken zensieren dürfen und die meisten Fans fast so streng wie am Flughafen kontrolliert werden. Wer aus der Reihe tanzt riskiert neben dem schon fast obligatorischen "Gewalttäter Sport" Eintrag auch noch ein mehrjähriges bundesweites Stadionverbot sowie unschöne Bekanntschaft mit den Polizeiknüppeln (je nach Spielort kommen noch Pfefferspray, Hunde und Reiterstaffeln hinzu). Dazu kommen weitere Maßnahmen wie Gefährdenansprachen und szenekundige Beamte.

Die meisten dieser Methoden entstanden als Reaktion auf die Gewaltwelle der 80er und 90er Jahre, als scheinbar kein Spieltag ohne Auseinandersetzungen zwischen verfeindeten Fangruppen ablief und sich Polizei und Vereine der Herausforderung gegenübersahen, der Gewalt Herr zu werden. Mit dem Verschwinden der Hooliganbewegung in ihrer damaligen Form sah sich der entstandene Sicherheitsapparat gezwungen, sich ein neues Zielobjekt zu suchen – hier waren die Ultras als auffälligster aber eben auch unbequemster Teil des Publikums schnell gefunden.

Welchen damals entstandenen Repressionswerkzeugen sehen sich Fußballfans heute am häufigsten gegenüber? Zu nennen wäre hier zunächst einmal die "Datei Gewalttäter Sport", welche eingeführt wurde, um Personen, die am Rande von Sportveranstaltungen auffällig werden polizeilich zu erfassen und dementsprechend besser kontrollieren zu können. Die Aufnahmekriterien sind hierbei jedoch so schwammig und willkürlich, dass es im Endeffekt von der Willkür der gerade eingesetzten Beamten abhängt, ob die Daten gespeichert werden oder nicht – so kann schon eine einfach Personalienkontrolle für einen Eintrag genügen – hierbei kam es für einen Eintrag schon zu so skurrilen Begründungen, wie der, dass sich eine Person durch Straßenbahnfahren der "polizeilichen Aufsicht" zu entziehen versucht habe. Über den Eintrag selbst muss der Betroffene nicht informiert werden und auch eine Löschung ist nur schwer zu erwirken. Zwar konnte vom Fanrechtefonds kürzlich in einem Musterprozess die Rechtswidrigkeit der DGS nachgewiesen werden, inwiefern dieses Urteil vor höheren Instanzen bestand haben und Konsequenzen für die Praxis haben wird bleibt jedoch abzuwarten. In der DGS werden ohne haltbare Kriterien, unter Missachtung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und nur auf vagen Verdacht hin die Daten tausender Personen gespeichert, ohne dass diese auch nur davon erfahren würden. Dabei gestehen selbst Polizisten mittlerweile freimütig ein, dass die Datei vollkommen verwässert und nicht mehr geeignet ist, Gewalt beim Fußball effektiv zu bekämpfen.
Die Konsequenzen der Speicherung hingegen sind wohl jedem, der nach der Erfassung seiner Daten schon mal etwas mit der Polizei zu tun hatte wohlbekannt: Bereits Verkehrskontrollen oder die Ausreise in den Urlaub am Flughafen können so zum Spießrutenlauf werden, wenn Polizisten sich zu einer gesonderten "Befragung" des Verdächtigen ("Wo wollen sie hin? Wieso?") entschließen und möglichst alle weiteren Anwesenden wie Familie, Freunde und Kollegen unter Missachtung des Datenschutzes davor warnen, dass man es hier mit einem Hooligan zu tun habe. Weitere Probleme können Ingewahrsamnahmen, Meldeauflagen und Gefährdenansprachen sowie ein massiver Glaubwürdigkeitsverlust gegenüber Polizei oder anderen Behörden sein.

Auf Grundlage eines Eintrags in die Datei Gewalttäter Sport werden auch weitere Maßnahmen wie zum Beispiel die eben erwähnten Gefährdenansprachen durchgeführt. Diese dienen vordergründig dazu, den Betroffenen dazu anzuhalten, nicht straffällig zu werden. Hierzu sucht die Polizei die Person am Wohnort oder am Arbeitsplatz auf und teilt bei dieser Gelegenheit – so bereits in der Vergangenheit geschehen – Nachbarn oder Kollegen mit, mit wem sie es denn zu tun hätten. Im Endeffekt nicht anderes, als der Pranger des 21. Jahrhunderts, an welchem der Fan vor seinem gesamten sozialen Umfeld in Misskredit gebracht werden soll.
Durchgeführt werden solche Maßnahmen häufig von sogenannten "szenekundigen" Beamten, also Polizeibeamten, deren einzige Aufgabe es ist, die Fanszene zu beobachten und zu kontrollieren – sowohl hier in München als auch andernorts begreifen die meisten dieser Polizisten ihre Aufgabe als Legitimation für einen Privatkrieg gegen unliebsame Vereinsanhänger, bei dem mit sämtlichen schmutzigen Tricks bis hin zu Lügen gearbeitet werden darf. So wurden vor Veranstaltungen unserer Gruppe bereits die Besitzer der von uns genutzten Örtlichkeiten angerufen und gewarnt, dass sie sich rechtsextreme Hooligans ins Haus geholt hätten – so z.B. vor unserem antirassistischen Kurt-Landauer-Turnier!

Am Spieltag schließlich gehört das Eingangs geschilderte Szenario – ständige Polizeikessel, Bedrohungen und Beschimpfungen durch Beamte und permanente Videoüberwachung – für die meisten Fans mittlerweile zur traurigen Routine. Nicht nur, dass für eine ganze Generation junger Fußballfans der Staat nur noch als Feindbild erscheint und die Bürgerrechte der Betroffenen beinahe komplett außer Kraft gesetzt werden, auch der betriebene Aufwand und der erzielte Nutzen stehen in keinem sinnvollen Verhältnis zueinander – die meisten Konflikte beim Fußball entstehen mittlerweile nicht mehr zwischen rivalisierenden Fangruppen sondern zwischen Fans und der Polizei, die oft sowohl durch ihre massive Präsenz als auch durch ihr Auftreten eine Situation erst zur Eskalation bringt.

Der wohl am heftigsten von Fans angegriffene Punkt sind jedoch die bundesweiten Stadionverbote bzw. deren derzeitige Vergabepraxis. Stadionverbote werden in Deutschland für eine Dauer von bis zu 3 Jahren (früher bis zu 5) auf der der zivilrechtlichen Grundlage des Hausrechts vergeben. Laut Richtlinien sind Stadionverbote eine "Präventivmaßnahme", die dazu dient unfriedliche Personen zur Besserung anzuhalten und den reibungslosen Ablauf der Veranstaltung zu gewährleisten. Ausgesprochen wird ein Stadionverbot bei Einleitung eines Ermittlungsverfahrens oder bei dem Verdacht, dass die Person eine Straftat begehen wollte. In der Praxis heißt das, dass ein Stadionverbot unter Umkehr der Beweislast auf puren Verdacht hin vergeben werden kann – mehrjährige Stadionverbote für das Verkleben eines Aufklebers oder massenhafte Stadionverbote nach Personalienaufnahmen dutzender Personen sind so schon lange keine Seltenheit mehr – und in jedem Fall liegt es dann am Fan selbst seine Unschuld zu beweisen. Zwar räumen die neuen Richtlinien des DFB die Möglichkeit ein, sich als Betroffener zu äußern und Stadionverbote "auf Bewährung" zu vergeben, die Tatsache, dass Stadionverbote willkürlich und unter Umkehr der Beweislast nach dem Gießkannenprinzip verteilt werden bleibt jedoch bestehen – unter diesen Umständen stellen Stadionverbote weder ein sinnvolle "Präventivmaßnahme" dar (so sie das denn überhaupt sein können), noch können sie so von den Fans akzeptiert werden.
Besonders am Beispiel der Stadionverbote lässt sich die Frage nach Sinn und Zweck der repressiven Instrumente beim Fußball sehr gut stellen: Dienen diese wirklich nur dazu, Gewalt vom Fußball fernzuhalten (bzw. sind sie diesem Zweck überhaupt dienlich) oder werden auch noch andere Interessen sowohl der Sicherheitsbehörden als auch der Verbände und Vereine mitbedient? Wo wird Gewalt bekämpft, wenn man meist Jugendlichen Fans ihren Lebensmittelpunkt raubt, sie kriminalisiert und diese Jugendlichen anschließend meist zu dutzenden vor den Stadiontoren stehen? Ein sinnvolle Gewaltprävention sieht anders aus. Aber wozu dann der Aufwand?
Zunächst einmal benötigt bereits der oben geschilderte Polizeiapparat selbst seine Daseinsberechtigung – die er sich auch gleich schafft. Im Umfeld von Fußballspielen werden bereits Bagatelldelikte von den zahlreichen eingesetzten aber teilweise unterbeschäftigten Beamten verfolgt und sorgen so für auf den ersten Blick konstant hohe Zahlen von eingeleiteten Ermittlungsverfahren – durch welche wiederum das hohe Polizeiaufgebot gerechtfertigt wird, denn schließlich, so der öffentliche Tenor, sei die Gewalt nicht zurückgegangen.

Doch auch die Interessen der Vereine und Verbände werden hierdurch bedient. Fußball ist heutzutage ein Milliardengeschäft, bei dem kritische Stimmen wie die der Ultras bei der Profitmaximierung nur noch hinderlich sind – oder welcher Sponsor, Fernsehzuschauer oder Businesslogenbesitzer wird schon gerne auf willkürliche Stadionverbote oder die möglichen Risiken und Irrwege des "modernen Fußballs" aufmerksam gemacht? Die Stadien sind mittlerweile ein privater Raum, der ausschließlich der Profitmaximierung unterworfen ist – für die Leidenschaft, das Engagement aber auch die Kritik von Ultras ist da kein Platz mehr. Oder um es mit den Worten der Sicherheitsverantwortlichen zu sagen: Sie gefährden den reibungslosen Ablauf der Veranstaltung. So ist es auch kein Wunder dass bei der WM 2006 argentinische Fans Stadionverbot bekamen weil sie auf ihren Sitzen standen und beim Pokalfinale 2008 ein Transparent gegen Stadionverbote zu einem Polizei- und Ordnereinsatz im Stadion führte. Vereine und Verbände bedienen sich nur zu gerne des unterbeschäftigten Polizeiaufgebots bei Fußballspielen, wenn es darum geht ihre Interessen und ihr Hausrecht gegen unliebsame Fans durchzusetzen. Kritische Stimmen und eine Fankultur, die sich der im modernen Fußball geltenden Verwertungslogik nicht unterwerfen kann und will kann im modernen Fußball nicht toleriert werden und wird dementsprechend möglichst kriminalisiert und bekämpft. Der oft vorgehaltene Kampf gegen Gewalt erweist sich hier nur als willkommene Ausrede um derartige Exzesse des modernen Fußballs öffentlich zu rechtfertigen.

Mit dieser Kriminalisierung selbstbestimmter und unabhängiger Fankultur bewegen sich die Macher des modernen Fußballs und die verantwortlichen der Sicherheitsbehörden jedoch in dieselbe Richtung wie ein Großteil unserer Gesellschaft. Lebensformen, die sich der Verwertungslogik und dem Konformitätszwang beim Fußball und andernorts nicht unterwerfen wollen werden als hinderlich oder gar gefährlich gesehen und dementsprechend bekämpft – sei es durch beim Fußball durch die hier beschriebenen Maßnahmen oder in der Gesellschaft durch Videoüberwachung, neue Versammlungsgesetze oder Medienhetze gegen Punks, Skins, andere Subkulturen oder eben die Ultras. Abweichendes und Vielfalt werden nicht mehr als Bereicherung und Chance gesehen, sondern nur noch als Gefährdung des über allem stehenden heiligen Grals der "Sicherheit", für die so mancher Bürger wohl auch sein letztes bisschen Freiheit und Selbstbestimmung opfern würde.

Schon oft diente der Fußball als Testfeld für Maßnahmen und Trends, die sich später in der gesamten Gesellschaft wiederfinden ließen. Sei es die absolute Dominanz einer nur noch auf Profit ausgerichteten Verwertungslogik oder die oben beschriebenen repressiven Instrumente, die mittlerweile auch auf anderen Ebenen ihre Verwendung finden. Woche für Woche "trainieren" Polizeieinheiten bei Fußballspielen Einsatzkonzepte für den Ernstfall bei Demonstrationen. Ultras, die all diese Tendenzen aufzeigen und zu bekämpfen versuchen sind da ein willkommenes Zielobjekt, das auch die Vereins- und Verbandsoberen gerne durch ruhigere und Zahlungskräftigere Kundschaft ersetzen würden. Und so kommen die Ultras Woche für Woche in den zweifelhaften Genuss der neuesten Errungenschaften der staatlichen Repressionsmaschinerie – alles für den Störungsfreien Ablauf der Veranstaltung.