Für lange Zeit gab es für die Fanszenen in Deutschland vor allem ein leuchtendes Vorbild: England. Auch heute noch werden neugierige Blicke hinüber auf die Insel geworfen. Allerdings weniger von Seiten der aktiven Fans, die mit wachsendem Entsetzen das Aussterben der Fanszenen bei den großen Vereinen betrachten. Vielmehr orientieren sich heute Vereins- und Verbandsfunktionäre am "englischen Modell" der all-Seaterstadien und totalen Vermarktung des Sports. Wer im neuen Jahrtausend schon das Vergnügen hatte seinen Verein im Europapokal zu einem der großen Englischen Klubs zu begleiten, wird schnell bemerkt haben, welche Nebenwirkungen diese neue Form des Umgangs mit dem Fußball und seinen Anhängern mit sich brachte. Kaum mehr etwas ist zu spüren von der wilden Anarchie der Stehränge die Nick Hornby in "Fever Pitch" beschrieb, stattdessen weist einen nun ein Steward in regelmäßigen Abständen daraufhin, dass man sich bitte wieder auf seinen nummerierten Sitzplatz setzen solle, da Stehen ja "antisocial" wäre. Dass in solchen reinen Sitzplatzstadien kaum mehr klassische Fußballatmosphäre aufkommt ist wenig verwunderlich. Mit der Einführung der all-Seater und dem damit einhergehenden Anstieg der Eintrittspeise wird es für die oft finanziell schwächer gestellten Besucher der alten Stehtribünen immer schwieriger das Geld für eine Dauerkarte aufzubringen und auch Tageskarten, die bei Chelsea beispielsweise erst bei über 40£ beginnen sind nicht mehr ohne weiteres erschwinglich. Somit kommt es langsam aber sicher zu einem gravierenden Wandel der Zuschauerstruktur. Sozial schwache Fans und Angehörige der traditionellen Arbeiterklasse, die oft eine besonders hohe Identifikation mit ihren Vereinen aufweisen, werden nach und nach aus den großen Stadien verdrängt. Selbiges gilt für Jugendliche. Der Stadionbesuch wird zu einem seltenen Luxusgut.
Oft wird behauptet an diesen Veränderungen, seien in erster Linie die Fans selbst Schuld deren Verhalten zu den großen Katastrophen von Heysel, Bradford und Hillsborough geführt hätte. Jedoch waren diese Vorfälle für Funktionäre auch eine großartige Gelegenheit den Fußball neu zu konzipieren und das Spiel profitabler zu machen. Stehplatzsektoren wurden durch Sitzplatztribünen ersetzt, die dadurch entstandenen Kosten durch eine eklatante Erhöhung der Eintrittspreise refinanziert. Dies entsprach auch dem neoliberalen Zeitgeist unter Premierministerin Maggie Thatcher, der bis heute nicht nur in Teilen der britischen Gesellschaft vorherrscht. Prägnant auf den Punkt gebracht hat dies der Chefredakteur des Fanzines "When Saturday Comes", Andy Lyons: "Eine der Säulen des Thatcherismus war die Totalisierung der Konsumgesellschaft. Es ging nur ums Geldausgeben und –verdienen und die Macht der individuellen Entscheidung. Die reinen Sitzplatzstadien sind dafür eine schöne Entsprechung. Man konnte das Publikum austauschen und gleichzeitig die Preise anziehen." Genau diese Vertreibung des klassischen Fußballpublikums ist es, die eine der größten Bedrohungen auch für die aktive Fanszenen in Deutschland darstellt. Bei den großen Vereinen ist der Fan, der sein Geld vor allem für Eintrittskarten und Fahrten zu Auswärtsspielen ausgibt, schon seit längerem nur noch bedingt willkommen. Weitaus interessanter sind Einmal-Kunden, die ihr Geld an Merchandising- und Imbissständen lassen. Die Manager und Verbandsoffiziellen wünschen sich ein Publikum dass jedes Spiel zu einem Partyevent à la Beachvolleyball verkommen lässt. Darüber hinaus ist von Seiten dieser Zuschauer kaum Kritik an der Vereinsführung zu erwarten. Im schlimmsten Falle werden die Akteure auf dem Feld mit einem Pfeifkonzert in die Pause verabschiedet, sollten sie nicht das gewünschte Unterhaltungsprogramm geboten haben. Ganz anders wiederum die aktiven Fans, die nicht nur Forderungen bezüglich der Fan- und Vereinspolitik vorbringen, sondern auch meist für die seltenen Auseinandersetzungen mit gegnerischen Anhängern und der Polizei sowie das Abbrennen von Pyrotechnik verantwortlich sind.
Ein Instrument um diese Fans aus den neuen Arenen zu verbannen wurde den Vereinen in Form von Stadionverboten von DFB und Politik bereitwillig in die Hand gelegt. Zusätzlich werden auch in Deutschland, sicher zum Großteil unbewusst, Elemente struktureller Gewalt angewendet um das Publikum steriler zu machen und kritische Zuschauer aus den Stadien zu bekommen. Mittlerweile ist es nicht mehr unüblich bei Auswärtsspielen inklusive Topzuschlag Preise von bis zu 20€ zu bezahlen. Für Jugendliche und Arbeitslose wohl kaum mehr bezahlbar, wenn man bedenkt dass aufgrund steigender Bahn- und Energiepreise auch die Anfahrt zum Stadion immer mehr Geld kostet. In manchen Stadien wie dem Stuttgarter Neckarstadion wurde die Anzahl an Stehplätzen drastisch reduziert, so dass die Fans auf die wesentlich teureren Sitzplätze ausweichen müssen. Im Berliner Olympiastadion gibt es für Gästefans bereits gar keine Möglichkeit mehr günstige Stehplatzkarten zu erwerben. Wenn diese Entwicklung so weitergeht ist es nur eine Frage der Zeit bis vielleicht die Ersten, die jahrelang mit ihren Klubs durch Deutschland und Europa getourt sind, einen Schlussstrich ziehen müssen unter dem eine große rote Zahl steht. Glücklicherweise sind sich die meisten Profivereine in Deutschland trotz der teils orbitanten Preiserhöhungen der letzten Jahre ihrer sozialen Verantwortung in dieser Sache bewusst sind. Vorbildlich hier, zumindest gegenüber den eigenen Fans, der Vorreiter der Kommerzialisierung Bayern München, bei dem die Stehplatzjahreskarte mit 120€ relativ günstig ist. Auch wenn hier verächtlich von "Sozialtickets" gesprochen wurde, ist genau das was wir Fans fordern. Eintrittspreise, die für jeden erschwinglich sind. Angesichts der Tatsache, dass der Zugang für junge Fans zu diesen günstigen Jahreskarten oft blockiert ist, da ältere Besitzer ihr Abo nicht kündigen, obwohl sie nur noch wenige Spiele im Jahr besuchen, wäre es auch eine Aufgabe der Vereine wieder mehr günstige Tageskarten für Jugendliche herauszugeben. Ohnehin behaupten die großen Vereine kaum mehr auf Zuschauereinnahmen angewiesen zu sein. Umso stärker sollten sie sich dann ihrer sozialen Verantwortung bewusst werden und sozialschwächeren Mitgliedern der Gesellschaft durch billige Tickets die Möglichkeit geben am Fußball und somit am sozialen Geschehen zu partizipieren. Es darf dabei keinesfalls vergessen werden, dass die Vereine jeden Spieltag hunderte, wenn nicht sogar tausende Tickets kostenfrei für ihre Sponsoren zur Verfügung stellen, die dann mehr oder minder interessierte Angestellte zu den Spielen schicken. Diese Entwicklung ist sogar schon den Spielern selbst aufgefallen. Der Ex-Profi Didier Deschamps meinte hierzu: "Wenn ich auf den Rasen komme, sehe ich auf der Tribüne gegenüber Typen in schwarzen Anzügen, als ob sie zur Beerdigung kommen". Sollen Anzugträger und Party-Konsumenten die Zukunft des Fussballs sein?
Natürlich ist es unrealistisch anzunehmen, die Vereine würden diesen Forderungen nachkommen. Sie würden dadurch nur das Klientel in die Stadien locken, das sie mit Hilfe von Stadionverboten aus den Stadien bekommen wollen. Zusätzlich sind viele Klubs heute dabei teure Stadionneubauten zu refinanzieren, weshalb der Zuschauer als finanzieller Faktor wohl doch wieder an Bedeutung gewinnt. Das traurige daran ist, dass diese neuen Arenen mit ihren gemütlichen Sitzschalen, ihren Wärmestrahlern und ihren schließbaren Dächern für eine finanzkräftigere Klientel gebaut werden, als für den Fan der jahrelang auf den zugigen Stehrängen bei seinem Verein war, egal ob es schneite oder regnete. Auf die Annehmlichkeiten der neuen Stadien würden viele aktive Fans wohl gern verzichten, allein schon ob des Fakts, dass sie all den Schnick-Schnack mit ihren Eintrittgeldern refinanzieren müssen und dies einigen verwehren wird so viele Spiele zu besuchen wie dies in der Vergangenheit der Fall war. Ob Parallelen zu England von den Vereinen gewollt sind, kann angenommen werden, auch wenn man in Deutschland glücklicherweise von englischen Verhältnissen noch ein gutes Stück weit entfernt ist. Lasst es nicht so weit kommen. Erhaltet den Fußball als Gemeingut der Öffentlichkeit. Ermöglicht jedem den Zugang zu den Tribünen.