Über die Vergabepraxis von Stadionverbot
Die Sicherheit und Ordnung vor allem bei den Spielen der Lizenzligen, der Regionalligen, des DFB und Ligaverbandes zu gewährleisten und hierbei zukünftig Ausschreitungen unfriedlicher Personen zu verhindern bzw. zu reduzieren sowie den ordnungsgemäßen Spielbetrieb zu gewährleisten, sei Aufgabe aller im Zusammenhang mit dem Fußball tätiger Verantwortungsträger. Dazu gehöre auch die Festsetzung von Stadionverboten gegen Personen, die im Zusammenhang mit Fußballspielen sicherheitsbeeinträchtigend aufgefallen seien.
"Die Festsetzung von Stadionverboten gegen unfriedliche Personen" und solche, die man als solche ansieht, wird für die "im Zusammenhang mit dem Fußball tätigen Verantwortungsträger" sogar zum zentralen Werkzeug, um diese Sicherheit und Ordnung herzustellen. Um zu klären, warum dies so ist, beschäftigen wir uns mit der Frage…
…was ein Stadionverbot genau ist.
Anfang der 90er wurde im Rahmen des Nationalen Konzepts für Sport und Sicherheit von einer Arbeitsgruppe aus DFB, Deutscher Sportbund, Deutscher Städtetag, Innenministerkonferenz, Jugendministerkonferenz, Sportministerkonferenz, Bundesministerium des Inneren und Bundesministerium für Frauen und Jugend die Möglichkeit geschaffen, bundesweite Stadionverbote zu verhängen.
Ein Stadionverbot ist die auf der Basis des Hausrechts gegen eine natürliche Person wegen sicherheitsbeeinträchtigenden Auftretens im Zusammenhang mit dem Fußballsport, insbesondere anlässlich einer Fußballveranstaltung, innerhalb oder außerhalb einer Platz- oder Hallenanlage vor, während oder nach der Fußballveranstaltung festgesetzte Untersagung bei vergleichbaren zukünftigen Veranstaltungen eine Platz- oder Hallenanlage zu betreten bzw. sich dort aufzuhalten.
Das Hausrecht bei der Fußballveranstaltung ist Grundlage der Stadionverbotspraxis. Durch Vertragsabschluß (Erwerb der Eintrittskarte) verpflichtet sich der Zuschauer, die Stadionordnung und das Hausrecht des Veranstalters zu akzeptieren. Der Veranstalter behält sich das Recht vor, Personen den Zutritt zu der Veranstaltung zu verwehren. Im Fall des Festsetzens eines Stadionverbots macht der Veranstalter von seinem Hausrecht Gebrauch und untersagt dem Betroffenen, "bei zukünftigen Fußballveranstaltungen seine Platz- oder Hallenanlage zu betreten bzw. sich dort aufzuhalten". Eine Missachtung dieser Untersagung ist eine Verletzung des Hausrechts, bei der sich die Vereine verpflichtet haben, grundsätzlich Strafantrag zu stellen (§§ 123, 124 StGB – Hausfriedensbruch).
Neben diesen örtlichen Stadionverboten, die nur bei den Heimspielen des festsetzenden Vereins gelten, gibt es auch bundesweite Stadionverbote, die bei allen Veranstaltungen der Lizenzligen, der Regionalligen, des DFB und der DFL wirksam sind. Die bundesweiten Stadionverbote werden durch eine gegenseitige Vereinbarung konstruiert, in der alle Vereine und Kapitalgesellschaften der Lizenzligen und der Regionalliga ihr Hausrecht auf die anderen Vereine und den DFB ausweiten und diesen so die Möglichkeit geben, in ihrem Namen Stadionverbote auszusprechen. Das Stadionverbot, das von einem dieser Vereine oder dem DFB ausgesprochen wird, gilt ebenso in allen anderen Stadien. Diese Vereinbarung ist Teil der Lizenzierungsordnung und damit Voraussetzung, um am Spielbetrieb teilnehmen zu können.
Auf welcher rechtlichen Grundlage basiert ein Stadionverbot?
"Das Stadionverbot ist keine staatliche Sanktion auf ein strafrechtliches Verhalten, sondern eine Präventivmaßnahme auf zivilrechtlicher Grundlage." Dies wird von den "Verantwortungsträgern" immer wieder betont, wenn es darum geht, die Stadionverbotspraxis zu rechtfertigen. Die "Präventivmaßnahme" besteht darin, nach willkürlicher Definition bestimmte Personen von der Fußballveranstaltung auszuschließen, um die restlichen Besucher vor diesen zu schützen. Die zivilrechtliche "Grundlage" macht die Vergabe des Stadionverbots von einer rechtskräftig erwiesenen Schuld unabhängig. Die im Rechtsstaat verankerte Unschuldsvermutung wird umgedreht: Nicht die Schuld des Betroffenen muss bewiesen werden, sondern dieser muss seine Unschuld beweisen. Die Vereine und Kapitalgesellschaften haben als Veranstalter das Hausrecht und können damit entscheiden, wen sie "reinlassen" wollen.
Wer ist für Stadionverbote zuständig?
Die Festsetzung, Reduzierung, Aufhebung oder Aussetzung von Stadionverboten steht grundsätzlich dem Hausrechtsinhaber zu. Dies sind im Ligabetrieb die Vereine und Kapitalgesellschaften der Lizenzligen und der Regionalliga und bei Pokal- oder Länderspielen der DFB. Entscheidend ist hierbei der Spielort und nicht die Vereinszugehörigkeit des Betroffenen. Dies hat zur Folge, dass vor allem Fans bei Auswärtsspielen von Stadionverboten betroffen sind, da die meisten Vereine die Fälle gegnerischer Fans kaum prüfen.
Der Verein, dessen Fan der Betroffene ist, hat keinerlei Einflussmöglichkeiten auf das Stadionverbot, obwohl er den Betroffenen, seinen Umfeld und dem Kontext der zu Last gelegten Tat wesentlich besser einschätzen könnte.
Für welche Vergehen wird ein Stadionverbot ausgesprochen?
Bei minderschweren Verstößen gegen die Stadionordnung soll ein örtliches Stadionverbot ausgesprochen werden, wenn die Person bisher nicht "sicherheitsbeeinträchtigend" aufgefallen ist.
Gegen Personen, die "anlässlich einer Fußballveranstaltung der Lizenz- oder Regionalligen, des DFB oder Ligaverbandes oder eines Spiels eines internationalen Wettbewerbs, das dem DFB, dem Ligaverband oder einem Verein zur Ausrichtung übertragen worden ist, in einem oder mehreren der unten aufgeführten Fälle innerhalb oder außerhalb einer Platz- oder Hallenanlage sicherheitsbeeinträchtigend aufgetreten sind", ist ein bundesweites Stadionverbot auszusprechen. Dies schließt die An- und Abreise zum Fußballspiel mit ein.
- Straftaten unter Anwendung von Gewalt gegen Leib und Leben oder fremde Sachen mit der Folge eines nicht unerheblichen Schadens
- Gefährlicher Eingriff in den Verkehr (§ 315 ff StGB)
- Störung öffentlicher Betriebe (§ 316 b StGB)
- Nötigung (§ 240 StGB)
- Verstöße gegen das Waffengesetz
- Verstöße gegen das Sprengstoffgesetz
- Landfriedensbruch (§§ 125, 125 a, 126(1) Nr. 1 StGB)
- Hausfriedensbruch (§§ 123, 124 StGB)
- Gefangenenbefreiung (§ 120 StGB)
- Raub- und Diebstahlsdelikte (§§ 242 ff, 249 ff StGB)
- Missbrauch von Notrufeinrichtungen (§ 145 StGB)
- Handlungen nach § 27 Versammlungsgesetz
- Rechtsextremistische Handlungen, insbesondere das Zeigen und Verwenden nationalsozialistischer Parolen, Embleme (§ 86 a StGB), Verstöße gegen das Uniformverbot (§ 3 Versammlungsgesetz) und Beleidigung (§ 185 StGB) aus rassistischen bzw. fremdenfeindlichen Motiven
- Einbringen und/oder Abrennen von pyrotechnischen Gegenständen
- Sonstige schwere Straftaten im Zusammenhang mit Fußballveranstaltungen
Bei Ingewahrsamnahmen oder schriftlich belegten Platzverweisen, wenn hinreichende Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass die Person Taten gemäß der Aufzählung begangen hat oder begehen wollte
Bei Sicherstellung bzw. Beschlagnahmung von Waffen oder anderen gefährlichen Gegenständen, die der Betroffene in der Absicht mitführte, Straftaten zu begehen
Bei schwerwiegenden Verstößen gegen die Stadionordnung
Die Vereine verpflichten sich dazu, ein Stadionverbot grundsätzlich sofort dann festzusetzen, "wenn die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens oder die Durchführung eines sonstigen Verfahrens oder das Vorliegen eines ausreichenden Verdachts der Verwirklichung eines der aufgezählten Tatbestandes [ihnen] bekannt wird." Ein bundesweites Stadionverbot kann auch ausgesprochen werden, "wenn der Betroffene entsprechend im Ausland aufgetreten ist." Das Stadionverbot gilt befristet je nach der schwere der "Tat" zwischen 1 und 5 Jahre. "Befindet sich der Betroffene in Haft, wird das Stadionverbot erst für den Zeitraum ab der Haftentlassung ausgesprochen." Das Stadionverbot muss schriftlich ausgesprochen werden. Wird es per Post zugesandt, wird es per Einschreiben mit Rückschein verschickt.
Stadionverbote und Datenschutz
Die aktuellen Listen der von Stadionverboten betroffenen Personen werden mindestens einmal im Monat vom DFB an die Vereine gesendet. Die Vereine geben diese Liste an die örtlichen Polizeistellen weiter. Der DFB übermittelt die Daten an die ZIS (Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze) "nur zum Zwecke der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung". Theoretisch dürften die Daten der Staatsanwaltschaft nur zum Zwecke der Strafverfolgung bei "begründetem Ersuchen" übermittelt werden.
Dieser wechselseitige Datenaustausch zwischen der Polizei und den Vereinen, also privaten Unternehmen, ist in Bezug auf den Datenschutz äußerst fragwürdig, vor allem da als Grundlage für ein Stadionverbot in der Regel schon Verdachtsmomente ausreichen.
Stadionverbote und die Datei Gewalttäter Sport
Ein Stadionverbot bedeutet in der Regel einen Eintrag in die Datei "Gewalttäter Sport".
Dieser Eintrag hat weitreichende Konsequenzen wie Ausreiseverbote und eine Stigmatisierung als Gewalttäter, beispielsweise dadurch, dass jeder beliebige Polizist bei jeder x-beliebigen Personenkontrolle oder jeder Grenzer bei einer Aus- oder Einreise diesen Eintrag einsieht. Das alles, obwohl für ein Stadionverbot, also eine privatrechtliche Ausübung des Hausrechts, weder ein strafrechtlich relevanter Tatbestand noch eine rechtsstaatliche Verurteilung zugrunde liegen muss.
Kann ein Stadionverbot aufgehoben werden?
Das Stadionverbot kann aufgehoben werden, wenn der Betroffene nachweist, dass das zugrunde liegende Strafverfahren eingestellt worden ist, oder er in einem Strafverfahren rechtskräftig freigesprochen ist. In der Praxis hat sich dieser Weg als äußerst schwerfällig erwiesen, teilweise musste die Aufhebung des Stadionverbots gerichtlich erstritten werden. Es empfiehlt sich von Anfang an einen Anwalt einzuschalten.
Der Betroffene kann bei der Stelle, die das Stadionverbot eingesetzt hat, eine nachträgliche Anhörung einfordern. Auch hiermit gibt es bis jetzt keine guten Erfahrungen. Man soll auf keinen Fall unvorbereitet und auf eigene Faust in dieses Gespräch gehen.
Auf Antrag des Betroffenen kann das Stadionverbot in seiner Dauer reduziert oder gegen Auflagen eingestellt werden, wenn dies den Verantwortlichen "nach Art und Umständen der Tat aufgrund der Einsicht des vom Stadionverbot Betroffenen, des jugendlichen Alters oder anderen vergleichbaren Gründen unter der Beachtung der Zielsetzung des Stadionverbotes zweckmäßig erscheint." Voraussetzung hierfür ist, dass der Betroffene kein Wiederholungstäter ist, bei der Tat keine "erkennbare kriminelle Einstellung" zeigte, die Folgen gering waren, er einsichtig ist und die "hohe Wahrscheinlichkeit" bietet, dass er sich zukünftig "sicherheitskonform" verhalten wird. Über diesen Antrag soll innerhalb von zwei Monaten unter Einbeziehung des Fanprojekts, des Vereins und der Polizei entschieden werden. Hierzu gibt es bisher keine Erfahrungswerte. Der Erfahrung nach ist es aber skeptisch zu betrachten.
Quellen:
"Richtlinien zur einheitlichen Behandlung von Stadionverboten" verabschiedet durch den Sicherheitsausschuss des DFB
Nationale Konzept für Sport und Sicherheit (NKSS)
Infotexte Soligruppe St. Pauli