Protestkultur Ultrà?!

Ultras haben an sich selber den Anspruch, die treusten und enthusiastischsten Fans zu sein, die immer und überall Alles geben, die 90 Minuten durchgehend singen und auch dann noch hinter ihrer Mannschaft stehen, wenn andere längst am pfeifen sind. Gleichzeitig wollen die Ultras die Interessen der Fans gegenüber dem Verein vertreten und für die Freiheiten der Kurve kämpfen. Um diese Interessen, sei es der Erhalt der traditionellen Stehplätze, das Recht auf freie Meinungsäußerung oder Freiheiten was Fanmaterialien wie Fahnen, Trommeln oder Megaphon angeht, durchzusetzen, müssen sich die Fans auch die Möglichkeit eines Boykotts oder Protests offen lassen, wenn alle anderen Wege und Gespräche erfolglos geblieben sind.

Viele sehen darin einen Widerspruch, da ein Protest ja bedeute, die Mannschaft in dieser Zeit im Stich zu lassen, da man sie nicht anfeuere. Gerade uns wurde das wiederholt vorgeworfen, da wir schon einige Male protestiert haben. Ein "richtiger Fan" habe aber immer 100-prozentig hinter seiner Mannschaft zu stehen, egal was passiere. Das sogar dann, wenn er die Umstände wie Verbote und Einschränkungen, Repressionen und Kommerzialisierung, Verleumdung und Kriminalisierung selber als Missstände erkannt hat. Der "richtige Fan" hat sich anscheinend mit den Umständen abgefunden (oder nimmt diese nicht mal als Problem war!) und fügt sich in seine Rolle als Ja-Sager. "Die Mannschaft kann ja schließlich nichts dafür."

Genau diese Rolle aber ist der Schlüssel um besagte Umstände zu ändern. Die Vereinsführung ist maßgeblich an der Gestaltung der Umstände beteiligt. Ihre Interessen decken sich nicht immer mit denen der Fans. Gleichzeitig aber ist der Verein an einem "harmonischen" Ablauf und einer möglichst lauten und schönen Kurve interessiert, da sich dies besser vermarkten lässt. Und gerade hier ist er (noch) auf die aktivsten und fanatischsten Fans, also die Fankurve, angewiesen. Auch wenn dem Fußballspiel selber die größte Bedeutung zukommt, ist die so einmalige Atmosphäre eines Fußballspiels ein wichtiger Bestandteil des Erlebnisses Fußball. Ohne die Atmosphäre, die WIR ALLE in der Kurve erzeugen, wäre der Fußball nicht das, was er heute ist. WIR ALLE sind es, die den Unterschied zwischen Fußball und Wasserball ausmachen. Diese Erkenntnis, dieses (Selbst-) Bewusstsein, das eine Fankurve haben oder entwickeln muss, ist von fundamentaler Bedeutung.

Warum soll es da nicht legitim sein, dem Verein aufzuzeigen wo er stehen würde, wenn er weiter die Interessen der Fans ignoriert? Und auch wenn es schmerzlich ist, auch für nur ein Spiel auf die Unterstützung der Mannschaft zu verzichten (und das ist es auch für jeden von uns), so muss man abwägen, dass man dadurch für Später Verbesserungen der Umstände erreicht, die dies tausendmal aufwiegen. Auch die Mannschaft profitiert letzten Endes davon, denn eine Kurve mit vielen Freiheiten unterstützt die Mannschaft auch lauter und kreativer.

Es ist richtig, dass wir schon oft protestiert haben. Das ist aber nicht passiert, weil uns das Protestieren besonders viel Spaß macht. Im Gegenteil, auch uns haben besonders die ersten 1,5 Jahre nach dem Umzug in die Allianz Arena nicht besonders gefallen. Gehäuft haben sich nämlich nicht nur die Proteste, sondern noch vielmehr die Gründe dafür. Uns würde es auch besser gefallen, wenn wir davon verschont werden würden. Doch gerade wir als sehr aktive und durchaus kritische Gruppe sind in besonderen Maße von diesen Umständen betroffen. Wer nur träge in der Masse steht und auf weiteres Engagement, beispielsweise das Mitbringen von Fahnen, verzichtet, den treffen die Verbote nicht. Wir wollen mit offenen Augen durch die Welt (oder das Stadion) gehen und den Mund aufmachen, wenn uns was nicht passt. Wir werden uns weiterhin gegen Missständen wehren, sei es durch Spruchbänder oder auch, wenn es nötig ist, durch Boykot.