Wir schweigen für 12 Minuten
Beim ersten Heimspiel der Rückrunde vor zwei Wochen war in der Südkurve und besonders bei unserer Gruppe alles andere als Normalität angesagt. Anders als üblich stand an diesem Samstag kein Vorsänger vor unserer Kurve. Im unteren Bereich unseres Blocks waren keine Trommeln, die sonst den Takt vorgeben. In dem Bereich, in dem wir zusammen mit uns nahe stehenden Bayernfans und anderen aktiven Gruppen versuchen, 90 Minuten lang alles für unseren FC Bayern zu geben - singen, hüpfen, manchmal sogar ausflippen - verfolgten die meisten einfach nur passiv das Spiel. Auch am kommenden Samstag beim Heimspiel gegen Kaiserslautern wird nicht alles normal sein. Viele andere Bayernfans und Fanclubs aus der Südkurve sind auf uns zugekommen. Auch sie sind mit der Situation unzufrieden und wir haben uns gemeinsam darauf verständigt, die ersten 12 Minuten des Spiels zu schweigen.
Der 12. Mann schweigt für 12 Minuten
Die Gründe dafür sind bei den unterschiedlichen Fans, Fanclubs und Gruppen zum Teil verschieden. Die verbindende Gemeinsamkeit ist das Gefühl, von der Vereinsführung und den Angestellten des Vereins nicht ernst genommen zu werden. Es geht um fehlenden RESPEKT den Fans gegenüber. Das äußert sich in vielen unterschiedlichen Dingen und für verschiedene Leute ist dies oder jenes mehr oder weniger wichtig. Und trotzdem waren wir uns, egal aus welcher Ecke der Kurve, egal welchen Alters, darüber einig, dass es so nicht geht! Viagogo (newsletter.clubnr12.de), der ständige Ärger um die angebliche Blocküberfüllung, die Erhöhung des Zauns, das Verbot von Fanzeitungen und Flyern als Organ der Meinungsbildung von uns Fans (www.schickeria-muenchen.org/blog/235_News); das sind nur einige Stichworte. In letzter Zeit sind auch Themen aufgestoßen, die uns gar nicht selber betreffen. Beispielsweise wurden beim sogenannten Fanclub-Vorteilsprogramm Änderungen vorgenommen, die es vielen aktiven, oft alteingesessenen Fanclubs unmöglich machen, weiter Busse zu Heimspielen zu organisieren. Ein bißchen mehr Wertschätzung für jahrzehntelange Treue, halten wir durchaus für angebracht. Anscheinend ist es aber heute wichtiger, dass die Kundschaft regelmäßig wechselt und dadurch die Fanshops mehr frequentiert werden. Bei Aldi kann man dafür jetzt "Komplett-Pakete" für ein Heimspiel-Wochenende samt Hotelübernachtung und Touri-Programm kaufen.
Für die Fans in der Kurve ist das Leben beim FC Bayern schon seit Jahren nicht leicht. Kein anderer Verein schränkt seine Fans so sehr ein. Das geht beim Verbot von Megaphonen los, dem Hick-Hack, das wir mit der Länge von Fahnenstecken hatten, einem unglaublich bürokratischen und unnötig überreglementierten Prozedere für Schwenkfahnen bis hin zu unsinnigen Auflagen bei Choreo-Materialen und einer Zensur was Inhalt und überhaupt Existenz von Flyern, Spruchbändern oder Choreo-Motiven angeht. Während in den meisten Bundesliga-Stadien längst Lautsprecher-Anlagen in den Kurven stehen, ist bei uns selbst ein Megaphon verboten. Und ist es kurze Zeit mal erlaubt, dann wird diese Genehmigung als Druckmittel verwendet und ist ganz schnell auch wieder weg. Fankultur wird nicht als Gut verstanden, das seine Kreativität im Freiraum Kurve entfaltet, sondern als Sicherheitsrisiko oder sogar Druckmittel.
Mia san Mia?
Auch die generelle Entwicklung des Vereins bietet uns und vielen anderen Anlass zur Sorge. Ein Engagement mit Gazprom wäre vor einiger Zeit aus moralischen Gründen nicht in Frage gekommen. So äußerte sich zumindest der Vorstand vor nicht allzu langer Zeit. Ist das heute Geschwätz von gestern, das an der Säbener niemanden mehr interessiert? Auf der letztjährigen Jahreshauptversammlung vertrat der Vorstand ein Demokratie-Verständnis, das sich nicht gerade mit unseren Vorstellungen von unserem Verein deckt. Grundsätzlich hat man in der Chefetage ein dünnes Fell, was Kritik angeht. Eine kritisch-sachliche Auseinandersetzung, kontroverse Diskussionen, eine Pluralität an Meinungen, das gehört für uns aber zu einem "Mia san Mia" dazu. Das heißt nicht, dass wir allen unsere Meinung aufzwängen und uns in jede Vereinsangelegenheit einmischen wollen. Ganz und gar nicht. Nicht ohne Grund wird ein Vorstand von den Vereinsmitgliedern berufen. Aber auch dieser ist nicht unfehlbar. Nur ein paar Beispiele von vielen, die zeigen wie unser FC Bayern sein Gesicht verändert, wie Geld, Sponsoren und Marketing immer wichtiger werden, wie es für sehr viele alteingesessene Fans – nicht nur Ultras – immer schwieriger wird, sich mit dem "neuen FC Bayern" zu identifizieren. Da erscheint die peinliche PR-Aktion rund um eine angebliche Neuverpflichtung, um die Facebook-Likes zu steigern, nur noch als kleine Randnotiz. Genau wie die neuste superwichtige Mitteilung, dass man jetzt dank des neuen Mediapartners Samsung überall im Stadion das Spiel in HD sehen könne.
"Eure Scheiß-Stimmung, da seid ihr doch dafür verantwortlich und nicht wir!"
Doch die Kulisse dafür soll die Südkurve liefern, denn für die "Scheiß Stimmung" sind ja wir verantwortlich, so Uli Hoeneß auf der Jahreshauptversammlung 2007. Genau die Südkurve ist es aber, die ja eben bedingungslos den Verein unterstützt und aus den kläglichen Rahmenbedingung noch das Beste rauszuholen versucht. Nach dem Wolfburg-Spiel kommentierte Jerome Boateng die Pfiffe im Stadion: "Es wäre besser, wenn sie uns in einer schweren Phase anfeuern würden, anstatt zu pfeifen. Aber das ist man in München ja gewohnt." Dabei sind es ja die Fans in der Südkurve, die bedingungslos 90 Minuten für den FC Bayern singen und nicht pfeifen, die gerade verprellt werden. Es ist eine unausgesprochene Wahrheit, deren man sich an der Säbener Straße gewahr werden sollte, dass es die leidenschaftlichsten und enthusiastischsten Fans sind, die auch mal kritisch sind, übers Ziel hinausschießen und sich auch mal nicht-konform verhalten. Das sind zwei Seiten einer Medaille, die sich nicht voneinander trennen lassen.
Wie geht’s jetzt weiter?
Die nach der Winterpause kommunizierten Entscheidungen der Vereinsführung, das Verteilen von Fan-Zeitschriften und Flyern zu verbieten und die Zäune zwischen den Blöcken der Südkurve aufzustocken, haben das Fass zum Überlaufen gebracht. Auf die Frage, was er mit einer lebendigen Fankultur verbinde, hat Uli Hoeneß auf dem HSV-Volksparkett geantwortet "dass Fans ihren Verein bedingungslos unterstützen und dass der Verein immer ein offenes Ohr für seine Fans hat." Genau das dieses offene Ohr fehlt, ist unserer Meinung nach das Problem.
Wir werden wieder singen. Weil wir uns unseren Spaß nicht verderben lassen wollen. Weil wir ein Teil des FC Bayern sind und niemand das ändern kann. Weil wir für den Verein, unsere Kurve und die Mannschaft singen, und nicht für Angestellte und Vorstand. Wir werden weiter für einen offenen und ehrlichen Dialog zur Verfügung stehen. Wir werden weiter dafür kämpfen, dass so viel wie möglich von dem FC Bayern übrig bleibt, an den wir unser Herz verschenkt haben. Wir werden uns aber auch genau überlegen, wie wir unser Engagement für Faninteressen in Zukunft gestalten werden.
Im Laufe der kommenden Woche werden wir eine weitere Erklärung veröffentlichen. Darin werden wir chronologisch auf die wichtigsten Ereignisse eingehen, die unserer Meinung nach in letzter Zeit falsch gelaufen sind.
SCHICKERIA MÜNCHEN